Dienstag, 17. August 2010

Kein Aufruf zum sofortigen Parteiaustritt

Wieder einmal hat ein Parteimitglied der Piratenpartei seinen Austritt öffentlich verteidigt.

Bevor jetzt die Rücktritts- und Austrittswelle richtig heftig wird.... (sie ist imho schon schlimm genug)


Zuerst:
Felix, die Gründe, die Du anführst gehören auch für mich mit zu den wichtigen politischen Themen.


Auch ich habe schon über Austritt nachgedacht - nicht jedoch über Rücktritt. Meine Austritts-Erklärung ist schon lange formuliert.

Im Moment habe ich noch die Hoffnung, dass die Partei wieder auf Kurs kommt. Als sparsamer Schwabe habe ich mir eine Frist bis mindestens Ende des Jahres gesetzt, denn gezahlt ist ja schon.


Natürlich lassen die Aktivitäten in der Partei gerade auch in den letzten Wochen und die verschiedentlich auftauchenden Nachrichten über Drohungen Raum für übelste Spekulationen über die Vorgänge in der Partei. Die These, dass die Partei von Radikalen und Extremisten gekapert wurde ist imho nicht abwegig.

Ich selbst habe bisher keine Drohung erhalten, sondern es wurde lediglich eine Bitte irgendetwas bestimmtes nicht wieder zu tun an mich heran getragen. Ich solle diese Bitte explizit nicht als Drohung auffassen.

Die Worte von dem von Dir genannten Piraten sprechen Bände. Ich hatte auch schon mehrfach die Gelegenheit, mit ihm zu kommunizieren. Mein Bild und meine Eindrücke über das Vorgehen zur Einführung von LQFB hat sich dabei bestätigt und gefestigt. Über die menschliche Komponente und die soziale Kompetenz bin ich einfach nur entsetzt. Dennoch wünsche ich im nichts ungutes.



Ein Austritt ist nichts wirklich schlimmes. Es ist ein demokratischer Akt. Eine Abstimmung mit den Füssen. Es ist ein Akt echter Basisdemokratie. Etwas, wofür sich die Piraten letztes Jahr noch richtig stark gemacht haben. Wer sich über einen Austritt aus der Piratenpartei empört, der möchte zunächst dies bedenken und sodann einmal überlegen, warum er selber nicht in einer anderen Partei Mitglied ist.
In der Regel wird man ideologische Diskrepanzen feststellen.


Die Interessen der Mitglieder der Piratenpartei haben sich scheinbar seit dem letzten Jahr extrem verändert. These: Ein signifikanter Teil der neuen Mitglieder versteht unter den Kernthemen der Partei etwas anderes, als im Parteiprogramm steht, bzw. als das, was ursprünglich gemeint war.

Ich habe in den letzten Tagen und Wochen immer wieder versucht dies bei meinen Beiträgen auf den Mailinglisten deutlich zu machen, indem ich Konflikte zwischen dem aktuellen Handeln und den Parteiaussagen während der Bundestagswahl aufzeige. So wie oben auch hier bereits getan.

Dieses aktuelle Vorgehen der Partei offenbart natürlich ideologische Diskrepanzen bei Mitgliedern, die für die ursprünglichen Ziele einstehen.


Ein Austritt ist eine Entscheidung, die zu jedem Zeitpunkt revidiert werden kann. Also wirklich überhaupt gar nichts schlimmes.




Bevor jetzt viele dem Aufruf von Felix folgen und direkt und sofort austreten, vielleicht eine Idee als Kompromiss:

Sendet eine Austrittserklärung an euren Vorstand mit Kopie an den Bundesvorstand.
Terminiert den Austritt auf das fruchtlose verstreichen der 3. Mahnung zum Mitgliedsbeitrag 2011.

Teilt den Vorständen mit, dass ihr gerne wieder Mitglied werdet, wenn sich die Partei wieder zu den ursprünglichen Zielen bekennt.

Wenn ihr wollt, macht im Wiki eine Seite auf und unterschreibt dort zusätzlich eine entsprechende Erklärung virtuell. - Ihr könnt dort auch gleich verabreden eine neue Partei zu gründen .. Letztes Jahr im Wahlkampf wurde ich noch gefragt, was denn passiert, wenn dann die Piraten ihre Ideale verraten. Ich meinte, dann gründen wir eben die Freibeuter-Partei... Den Namen zu wechseln ist natürlich marketingtechnisch doof.


Ansonsten, wenn es "nur" um das Liquid geht und ihr seit dagegen, versucht es einfach zu ignorieren - ja, ich merke, an mir selbst, dass das schwer fällt. In NDS liegt die aktive Teilnahme am LQFB bei ca. 2% der Parteimitglieder. Das sind ca. 10% bis 20% der Leute, die zu Parteitagen kommen. Die Relevanz ist also nicht überragend. Sie wird überragend, sobald die "Gegner" weg sind.

Für Anträge zum Parteitag in Chemnitz gibt es auch eine klassische Antragsfabrik (die auch viele Mängel hat - Meinungsbild vorher halte ich für absolut falsch - Meinungen auszutauschen für absolut notwendig, eine Liste von Pros und Cons auch). Ganz wichtig, wenn ihr kommt: Bereitet euch vorher vor! Damit ihr wisst, worüber ihr abstimmt.



Was mir zum Thema Paradigmenwechsel so auf fällt, einfach mal so ins Blaue geschrieben..:

Idee der Piraten: Transparenz politischer Entscheidungen - kein transparenter Bürger
Piraten heute: Forderung des gläsernen Politikers und Forderung, dass jeder Bürger, der sich politisch engagiert Politiker sei. Das Schlagwort: Piratenpartei = Stasi 3.0 macht schon die Runde.

Idee der Piraten: Politik mit Kompetenz machen.
Piraten heute: Ein System wird zum Einsatz gebracht, dass ad hoc entwickelt wurde, ohne die Wirkungen und Rahmenbedingungen vorher abzuschätzen. - Auf klassisches Projektmanagement wurde bewusst verzichtet. Ein zügiger Austausch des Entwicklerteams war damit unmöglich. Wichtige Bedenken z.B. zum Datenschutz haben das Projekt erst nach Fertigstellung der Version 1.0 erreicht. ....uvm. Eine Folgeabschätzung oder sonstige Projektdokumentation wie Anforderungsanalysen, Rechtsgutachten, Lastenhefte, UML-Diagramme existieren nicht. Das Ding ist ein reiner Hack.


Idee der Piraten: Rechtsstaatlichkeit und Grundgesetz stärken.
Piraten heute:  Der politische Geschäftsführer stellt einen Fettnapf nach dem anderen selber auf und springt hinein. (Rechtfertigung von Drohungen gegen Kläger, diese nicht rechtsstaatlich begründet, Anfragen an das Gericht nach leaks, Veröffentlichung von Beschlussergebnissen bereits vor deren Beschluss...)
Piraten heute:  Piraten mit anderer Meinung werden mit Gewalttaten bedroht.


Idee der Piraten: Lobbyismus eindämmen
Piraten heute:  Themen werden extrem populistisch und sachlich falsch lanciert (z.B. LQFB auf dem BPT)


Idee der Piraten: Datensparsamkeit
Piraten heute:  Wir sammeln nicht nur sensible, personenbezogene Daten, sondern machen sie gleich öffentlich.


Idee der Piraten: Keine Wahlcomputer, sondern feie, geheime, durch jeden nachvollziehbare Wahlen
Piraten heute:  Man beschreitet eine Roadmap, die am Ende alle politischen Entscheidungen elektronisch ermittelt, und systembedingt nicht die Anforderungen, die Piraten an Wahlen gestellt haben, erfüllen kann.



Der Wandel ging von einer Partei, die aufgrund ihrer Technikkompetenz vor dem Missbrauch eben dieser Technik warnte zu einer Partei, die aufgrund ihrer Technikkompetenz machen will, was technisch geht.
Die Partei hat sich einmal als humanistische Partei ausgegeben. Von Kompetenz bei Humanismus kann ich jedoch im Moment nicht mehr viel erkennen.


Mir ist es schon lange nicht mehr möglich, für die Partei zu werben. Ehemals aktive Piraten haben sich komplett zurück gezogen, sind von der Bildfläche verschwunden.


Ein Beobachter